Von der Wahlstimme zum Wahlergebnis

Während der Suche nach den gesetzlichen Grundlagen, die die Abbildung zwischen tatsächlich abgegeben Stimmen und dem Sitzverhältnis im Parlament definieren, betrachteten wir zunächst das Grundgesetz. In ihm existieren einzig zwei Artikel, die sich auf die Relation Wähler - Repräsentant anwenden lassen:

Eine genauere Definition, insbesondere in Bezug auf das dem betrachteten Verhältnis zu Grunde liegende Demokratieverständnis, enthält das Grundgesetz nicht. Das Grundgesetz muss also diesbezüglich interpretiert werden. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt die Demokratie des GG als eine Ordnung, „die unter Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt“ [SLRWG_1985]. Aus dieser Aussage ist ableitbar, dass sich die Grundlage, die den Aufbau - also auch die Sitzverteilung - der Parlamente definiert, aus dem Willen der jeweiligen Mehrheit des Volkes bildet(darunter verstehen wir die einfache, die absolute oder auch die Zwei-Drittel-Mehrheit). Die Mehrheit des Volkeswillens muss also zu einer entsprechenden Mehrheit an Sitzen im Parlament führen. Ein Berechnungssystem, welches diesem Grundsatz nicht genügt, d.h. welches es ermöglicht, dass dieses Prinzip umgangen wird, entspräche demgemäß nicht der Verfassung.

In [SLRWG_1985] erfolgt die Interpretation des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) folgendermaßen: „Jede bei der Wahl abgegebene Stimme muß den gleichen Zählwert haben; Unterscheidungen, nach dem aus Eigentum, Bildungsgrad oder anderen Faktoren vermuteten unterschiedlichen Grad an staatsbürgerlichem Verantwortungsbewußtsein stehen im Widerspruch zum D.prinzip.“ Geht man davon aus, dass sich der erwähnte Zählwert nicht nur auf den Zeitpunkt der Stimmabgabe, sondern auch auf das Wahlergebnis, d.h. auf die Auswertung einer Stimme zur Berechnung der Verteilung im jeweilen Parlament beziehen soll, lässt sich hieraus der Anspruch bilden, dass die Anzahl an Stimmen, die zur Erlangung eines Mandats benötigt werden, für jeden Bewerber gleich sein muss.

Um ein Urteil darüber abgeben zu können, wie es in der Realität um diesen Anspruch gestellt ist, betrachten wir die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag und die aus ihr resultierenden Ergebnisse. Das Bundeswahlgesetz [BWG_1998] definiert eine Wahlstimme folgendermaßen:

§4 - Stimmen: Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste.

Das genaue Aussehen eines Wahlzettels wird in §30 Absatz 2 genauer beschrieben, ist an dieser Stelle jedoch nicht weiter von Relevanz. Die Bedeutung der Stimmen wird in §5 - Wahl in den Wahlkreisen und §6 - Wahl nach Landeslisten definiert. Hiernach erfolgt die Errechnung der Verteilung der Sitze in erster Linie nach den Stimmenverhältnissen, die aus der Zweitstimme hervorgehen. Die Erststimme nimmt nur unter einer Voraussetzung Einfluss auf die Sitzverteilung im Bundestag. Diese ergibt sich in dem Falle, dass eine Partei mehr direkt, d.h. mittels der Erststimme, gewählte Abgeordnete besitzt, als es die Zweitstimmenverteilung vorgibt:

§6 - Wahl nach Landeslisten - Absatz 5: In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach den Absätzen 2 und 3 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Falle erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze (§1 Abs. 1) um die Unterschiedszahl; eine erneute Berechnung nach den Absätzen 2 und 3 findet nicht statt.

In der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag ergab es sich aufgrund dieses Umstandes, dass 16 sogenannte Überhangmandate entstanden, wovon zwölf auf die CDU und vier Sitze auf die SPD verteilt waren, und sich damit die Größe des Bundestags von 656 auf 672 Sitze erhöhte.

Geht man von der Annahme aus, dass die Stimmenverhältnisse zwischen den Parteien im Bundestag ein möglichst genaues Abbild der Auswertung der Zweitstimmen sein sollten, stellt sich die Frage, welche Verhältnisse im Konkreten gemeint sind. An erster Stelle steht die Entscheidung für den Bezugsrahmen, welcher sich aus der Anzahl der Wahlberechtigten, den abgegebenen Wahlstimmen, den gültigen Wahlzetteln oder auch den verwendeten Stimmen, d.h. den Stimmen der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, ergeben kann.

  Stimmen % der Wahlberechtigten % der gültigen Stimmen % der Sitze im Bundestag
Wahlberechtigte 60.452.010  100,0    
Wähler 47.738.000  79,0 (100,0)    
Ungültige 632.825  1,0 (1,3)    
Gültige 47.105.170  77,9 (98,7) 100 100,0 (672)
SPD 17.140.350  28,4 36,4 37,5 (252)
CDU/CSU (1) 19.517.160  32,3 41,5 43,8 (294)
GRÜNE 3.424.315  5,7 7,3 7,3 (49)
F.D.P. 3.258.407  5,4 6,9 7,0 (47)
PDS 2.066.176  3,4 4,4 4,5 (30)
Sonstige (2) 13.346.840  22,1 3,6 0,0 (0)

 Tabelle 1: Das Verhältnis zwischen Zweitstimme und Sitzverteilung
Anmerkungen zur Tabelle:
(1) CDU: 16.089.960 Stimmen (34,2%), CSU: 3.427.196 Stimmen (7,3%)
(2) Als "Sonstige" sind hierbei alle Stimmen gemeint, die nicht als gültige Stimmen gewertet wurden. Sonstige = Wahlberechtigte  - Gültige Stimmabgaben

Das Bundeswahlgesetz (§6) [BWG_1998] bestimmt die Benutzung der verwendeten Stimmen als Grundlage zur Berechnung der Sitzverteilung, jedoch ist diese Entscheidung nicht die einzig sinnvolle und führt nicht in jedem Falle zu einer korrekten Abbildung zwischen Wahlentscheidung und Sitzverteilung. Dieser Umstand liegt in großem Maße an der Definition, unter welchen Voraussetzungen eine Partei in den Bundestag einziehen darf und somit, welche Stimmen als verwendet gelten (§6 Abs. 6 BWG). Stimmen von zugelassenen Parteien, die nicht die Interessen nationaler Minderheiten vertreten (wie beispielsweise der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in Schleswig-Holstein), nicht in mindestens drei Wahlkreisen ein Direktmandat errungen und weniger als fünf Prozent der gültigen Stimmen erhalten haben, verfallen. Ein vom Deutschen Bundestag veröffentlichter Artikel bezüglich der Wahlen zum Deutschen Bundestag formuliert die Begründung für diese Sperrklauseln folgendermaßen:

... Die Fünf-Prozent-Klausel ist eingeführt worden, um kleinen Splitterparteien nicht die Möglichkeit zu geben, eine regierungsfähige Mehrheit im Bundestag zu verhindern und die parlamentarische Willensbildung zu erschweren. So verschwanden mit Ausnahme der F.D.P. bis 1961 alle kleinen Parteien aus dem Bundestag.
Die Fünf-Prozent-Klausel gehört seit 1949 zum bewährten Kernbestand des deutschen Wahlrechts, das vielfach von ausländischen Wahlgesetzen übernommen wurde. ...

Die Frage nach der Berechtigung, ein Wahlergebnis durch Sperrklauseln zu verändern, die sich in unseren Augen beim Lesen dieser Begründung stellt, ergibt sich aus dem Umstand, dass wir die Gründe für die bisherige Stabilität und Handlungsfähigkeit der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland primär in wirtschaftlichen (z.B. der Währungsreform oder der Gründung der EWG) und außenpolitischen Faktoren (z.B. Mitgliedschaft in der NATO, der UN und der KSZE) sehen und nicht in einem parlamentarischen Verteilungsdetail.

Nach der Aussage zu schließen, dass sich bis zu den Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag vom 17.09.1961 mehrere kleine Parteien im Bundestag befanden, müsste die Stabilität und Handlungsfähigkeit der ersten drei Deutschen Bundestage unter der Parteienvielfallt gelitten und ab dem 4. Bundestag - durch die Wirksamkeit der Fünf-Prozent-Klausel - eine deutliche Verbesserung erlebt haben. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie man durch folgenden chronologischen Auszug aus der Historie des Deutschen Bundestags sehen kann:

14.08.49 Wahlen zum 1.Deutschen Bundestag: Aufgrund des Wahlergebnisses Einzug von 8 Fraktionen in den 1. Bundestag, wobei die CDU/CSU mit 31% Stimmenanteil die stärkste und die SPD mit 29,2% die zweitstärkste Fraktion bilden.
15.09.49 Wahl von Dr. Konrad Adenauer (CDU/CSU) zum Bundeskanzler. Regierung: Koalition aus CDU/CSU, F.D.P. und DP (DP = DEUTSCHE PARTEI, Anm. des Autors)
06.09.53 Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag
09.10.53 Wiederwahl von Dr. Konrad Adenauer (CDU/CSU) zum Bundeskanzler. Regierung: Koalition aus CDU/CSU,F.D.P., DP,GB/BHE (GB/BHE = Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, Anm. des Autors) (bis 23.07.1956)
15.09.57 Wahlen zum 3. Deutschen Bundestag
22.10.57 Wiederwahl von Dr. Konrad Adenauer (CDU/CSU) zum Bundeskanzler. Regierung: Koalition aus CDU/CSU u. DP
17.09.61 Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag
15.10.63 Rücktritt v. Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer
16.10.63 Wahl von Prof.Dr. Ludwig Erhard (CDU/CSU) zum BundeskanzlerRegierung: Koalition aus CDU/CSU und F.D.P.
19.09.65 Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag
20.10.65 Wiederwahl von Prof.Dr. Ludwig Erhard (CDU/CSU) zum Bundeskanzler (bis 30.11.1966) Regierung: Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. (bis 27.10.1966)
30.11.66 Rücktritt von Bundeskanzler Prof.Dr. Ludwig Erhard
01.12.66 Wahl von Kurt Georg Kiesinger (CDU/CSU) zum neuen Bundeskanzler. Regierung: Große Koalition aus CDU/CSU und SPD
28.09.69 Wahlen zum 6. Deutschen Bundestag
21.10.69 Wahl von Willy Brandt (SPD) zum Bundeskanzler. Regierung: Koalition aus SPD und F.D.P.
24.04.72 CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschließt, ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stellen (Art 67 GG), indem sie vorschlägt Dr. Rainer Barzel zum Bundeskanzler zu wählen.
27.04.72 Ablehnung des Antrags der CDU/CSU gem. Art 67 GG (konstruktives Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt).
20.09.72 Bundeskanzler Willy Brandt stellt die Vertrauensfrage gem. Art. 68 GG, um in die Lage versetzt zu werden, dem Bundespräsidenten die Auflösung des 6. Deutschen Bundestages und die Ansetzung von Neuwahlen vorzuschlagen.
22.09.72 Antrag von Bundeskanzler Willy Brandt, ihm das Vertrauen auszusprechen, findet erwartungsgemäß nicht die erforderliche Mehrheit. Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers.
19.11.72 Wahlen zum 7. Deutschen Bundestag

Zusammenfassend ergibt sich hieraus folgendes Bild: In der Zeit, in der eine größere Anzahl unterschiedlicher Parteien im Bundestag vertreten waren (1949 - 1961), gab es eine stabile und durchaus handlungsfähige ( z.B. wurde der Beitritt zur NATO und EWG beschlossen und die Bundeswehr gegründet) Regierung, welche die ganze Zeit über von dem selben Bundeskanzler geführt wurde. In den folgenden drei Bundestagen hingegen, (4. - 6., d.h. 1961-1972) in denen nur drei Parteien vertreten waren, gab es vier, bzw. fünf Bundeskanzler (Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und zum 7.Bundestag Schmidt), einen gescheiterten Kanzlerbewerber (Barzel), ein erfolgreiches Misstrauensvotum und zwei Regierungswechsel (1.12.1966 und 21.10.1669).

Sollte also die Fünf-Prozent-Klausel, d.h. die Beschränkung der Parteienanzahl im Bundestag, tatsächlich einen stabilisierenden Effekt besitzen, so scheint sich dieser in der Realität nicht signifikant auszuwirken. ( Erstaunlicherweise ist seit dem Zeitpunkt, an dem die Parteienvielfalt im Bundestag wieder zunahm [seit dem 10. Bundestag , d.h. ab 1983], weder ein Regierungswechsel noch ein Kanzlerrücktritt zu verzeichnen.) Zumindest ist der oben zitierte Satz, der aussagt, die Fünf-Prozent-Klausel würde zum bewährten Kernbestand des deutschen Wahlrechts gehören, dahingehend zu hinterfragen, welche Form von Bewährung nachweisbar stattfand.

Eine Bewertung der Stimmenauszählung für die Verteilung der Sitze im Bundestag lässt sich, wie zuvor erwähnt, auf unterschiedlichste Weise gestalten. Hierbei ist, solange jeder Bundestags-Sitz das Gewicht einer Stimme besitzt, die Abbildung von über 60 Millionen Wählerstimmen auf 656 Abgeordnetenstimmen zu realisieren. Wie die Zahlenverhältnisse schon offenbaren, ist dieser Akt nicht ohne die Verwendung von Kürzungs- bzw. Rundungsverfahren zu bewerkstelligen. Würde man als Bezugsrahmen die Anzahl der Wahlberechtigten zu Grunde legen, entspräche jeder Sitz im Bundestag ungefähr 92.000 Wahlstimmen. Hieraus ergäben sich z.B. für die SPD, dass sie statt der 248 Sitze plus der 4 Direktmandate nur noch mit einer Fraktionsgröße von 185 rechnen könnte.

Die Frage, die sich bei diesem Berechnungsverfahren stellt, ergibt sich aus den 145 Sitzen, die von keiner im Bundestag vertretenen Partei besetzt werden. Behält man die Sperrklauseln aus §6 Abs. 6 BWG bei, so müssten diese verfallen und von der Gesamtzahl der Bundestagssitze abgezogen werden. Es wären jedoch auch andere Alternativen denkbar. Beispielsweise könnte man diese Sitze der nichtparlamentarischen Politik (z.B. Interessenverbänden) durch entsprechende Gesetzeserweiterungen zur Verfügung stellen, wodurch sich das Interesse der Parteien stärken ließe, die Wählerstimme und nicht die relativen Verteilungen zwischen den Parteien im Mittelpunkt zu sehen und somit eine Kopplung zwischen Wählerbeteiligung und Parteipräsenz im Bundestag zu erreichen.

  Wahlberechtigte Gültige Stimmen Real im Bundestag (1)
Anzahl Stimmen pro Sitz
Sitze 656 (2) 656 672 (3)  
Stimmen pro Sitz 92.152,452 (4) 71.806,667 (5)   67.569,060 (6)
Sitze für SPD 185,999 
»185 
238,701 
»239 
252  68.017,280
Sitze für CDU/CSU 211,792 
»212 
271,801 
»272 
294 66.384,880
Sitze für GRÜNE 37,159 
»37 
47,687 
»48 
49 69.883,980
Sitze für F.D.P. 35,358 
»35 
45,377 
»45 
47 69.327,810
Sitze für PDS 22,421 
»22 
28,774 
»29 
30 68.872,530
Sitze für Sonstige 144,834 
»145 
23,657 
»24 
0  

 Tabelle 2: Die Anzahl der Stimmen pro Sitz im Bundestag
Anmerkungen zur Tabelle:
(1) Stand nach der Bundestagswahl '94
(2) Nach §1 [BWG_1998]
(3) 656 Sitze nach §1 BWG + 16 Überhangmandate nach §6 BWG = 672
(4) Wahlberechtigte / 656
(5) Gültige Stimmen / 656
(6) Verwendete Stimmen / 672 ; Gültige Stimmen / 672 = 70096,985

Betrachtet man als Bezugsrahmen die Anzahl der verwendeten Stimmen, d.h. die Anzahl von Stimmen, die reell nach BWG zur Errechnung der Sitzverteilung Verwendung findet, so ergibt sich für jeden der 672 Sitze des 13. Bundestages ein Gewicht von ca. 67.569 Wählerstimmen. Sieht man sich jedoch die konkrete Sitzverteilung in Relation zu den erhaltenen Wählerstimmen an, ergeben sich zwischen den einzelnen Parteien deutliche Unterschiede. Von den initial notwendigen 92.152 Stimmen pro Bundestagsmandat ergeben sich durch die verwendeten Berechnungsverfahren zwischen 66.385 und 69.884 Stimmen, die benötigt werden, um einen Sitz im Bundestag zu erhalten. Hierbei entsteht eine Differenz von bis zu 3.500 Stimmen (5,3 %) zwischen den Stimmgewichten der Sitze in Bezug auf die Parteien. Bei der Betrachtung der Zahlen fällt auf, dass die Berechnungsverfahren einen Vorteil für große Parteien darzustellen scheinen.

  Referenz Große Parteien (1) Andere
Anzahl in % Anzahl in % Anzahl in %
Sitze (2) 672  100,00  546  81,25  126  18,75 
Verwendete (3) 45.406.410  100,00  36.657.510  80,73  8.748.898  19,27 
Gültige (4) 47.105.170  100,00  36.657.510  77,82  10.447.660  22,18 
Alle (5) 60.452.010  100,00  36.657.510  60,64  23.794.500  39,36 (6)

 Tabelle 3: Das Verhältnis zwischen großen und kleinen Parteien
Anmerkungen zur Tabelle:
(1) SPD + CDU/CSU
(2) Stand nach der Bundestagswahl '94
(3) Die Anzahl von Stimmen, die für eine der im Bundestag vertretenen Parteien abgegeben wurde.
(4) Alle gültigen Simmen unter Ignorierung der Fünfprozentklausel.
(5) Die Anzahl der Wahlberechtigten
(6) Betrachtet man die Relation der Stimmen, die an kleine, im Bundestag vertretene Parteien gingen (8.748.898 Stimmen) zu der Anzahl an möglichen Stimmen, so ergeben sich 14,47%.

Die großen Parteien (SPD und CDU/CSU) errangen 60,64 % der möglichen Stimmen, besitzen jedoch im Bundestag 81,25 % der Sitze, was einer Steigerung von rund 40 Prozent entspricht. Bei den kleinen Parteien ergibt sich äquivalent eine Änderung von 14,47% auf 18.75%, was einer Steigerung von nur knapp 30 Prozent entspricht.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die zum heutigen Zeitpunkt verwendeten Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Sitzverhältnisse im Bundestag nur in äußerst ungenauem Maße die getroffene Wahlentscheidung widerspiegeln. Die Begründungen, die ein Festhalten an den entsprechenden Verfahren untermauern sollen, sind nicht hinreichend und somit in Frage zu stellen.

Um die Ungenauigkeit der Abbildung von der Wählerstimme auf die Sitzverteilung im Bundestag durch die verwendeten Berechnungsverfahren auf eine - theoretisch - mögliche Spitze zu treiben, wollen wir folgendes Szenario aufstellen:

Eine große und eine kleine Partei verbinden sich in dem Willen, nach einer Wahl eine gemeinsame Koalition zum Zwecke der Regierungsbildung zu gründen. Diese Parteien stimmen ihren Wahlkampf so aufeinander ab, dass die Erststimmen an die kleine und die Zweitstimmen der Wähler an die große Partei vergeben werden sollen. Sie haben mit dieser Strategie Erfolg.

Was geschieht nun? Als Beispiel verwenden wir die Wahlergebnisse zur Wahl des 13. Bundestags und betrachten hierbei die Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P. Die Zweitstimmen der F.D.P.-Wähler würden somit an die CDU bzw. CSU gehen und die 294 errungenen Direktmandate der CDU/CSU der F.D.P. zugeschrieben:

  Stimmen % der gültigen Stimmen Sitze im Bundestag
Anzahl %
Gesamt 47.105.174 (1)  100,0 656 + 298 100
SPD 17.140.350  36,4 248 + 4 26,4
CDU/CSU 22.775.572 (2)  48,4 325 (3) 34,1
GRÜNE 3.424.315  7,3 49 5,1
F.D.P. 0,0 0 + 294 30,8
PDS 2.066.176  4,4 30 3,1

 Tabelle 4: Sitzverteilung des Beispiel-Parlaments
Anmerkungen zur Tabelle:
(1) Anzahl der gültigen Stimmen
(2) 19.517.156 (CDU/CSU) + 3.258.407 (F.D.P.) = 22.775.572 Stimmen
(3) Die 325 Sitze wurden errechnet aus 278 Zweitstimmensitze von CDU/CSU und 47 von F.D.P.

Zur Erreichung der absoluten Mehrheit sind in einem, durch die große Anzahl von F.D.P.-Überhangmandaten entstandenen, 954 Sitze großen Bundestag 478 Stimmen nötig, die Zwei-Drittel-Mehrheit ist mit 637 Stimmen erreicht. Die betrachtete Koalition besäße 619 Stimmen, was einer Zwei-Drittel-Mehrheit gefährlich nahe käme. Betrachtet man hierbei, dass diese Koalition nur 48,4 % der gültigen, bzw. nur 37,7 % aller möglichen Stimmen erhalten hat, verfügt sie im Bundestag über eine fast verfassungsänderungsfähige Mehrheit.

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©1998 by Andreas Fahrig & Christian Stamm